Begegnungen im Spiegel der Zeit
Manchmal sind es kurze, zufällige Begegnungen – aber die anderen wollen sie nicht wirklich sehen. Sie schauen weg, wenn manche Menschen wie lebende Tote mit starrem Blick aus trüben, müden Augen und mit schleichendem Gang vorbeigehen und niemand ahnt, wie sie seelisch leiden. Psychisch Kranke, oft die Abgehängten unserer Gesellschaft, bewegen sich manchmal halluzinierend durch das quirlige Gefüge von eilenden Menschen in bunten Fußgängerzonen, wenn sie es bis hierher überhaupt schaffen. Vielleicht zum nächsten Supermarkt, um günstige Alkoholangebote zu finden oder in einer dunklen Gasse kraftlos einen alten Bekannten nach Stoff zu fragen, weil sie wieder den Arztbesuch versäumt haben. Irgendwann geben sie sich auf. Schon lange haben sie den Drehtüreffekt hinter sich – zunächst hoffnungsvoll in die Klinik, damit ihnen irgendwer hilft, die Gedanken und Gefühle wieder zu ordnen oder wenn die Aussicht auf ein normales Leben besteht. Sie verweigern die Medikamente nicht, doch dann kann es passieren. Übereifrige Betreuer schaffen es, sie auch ohne große Selbst- oder Fremdgefährdung auf Soziotherapie -geschlossen- zu schicken. Was für ein vielversprechendes Wort, Soziotherapie und die Realität heißt Abschiebe-verwahrstation für längere Zeit. In Bayern ist man damit besonders fleißig. Medikamente geben, stupide Arbeitstherapie im besten Fall und Genehmigung für den Gartenausgang einholen – so starten sie. Irgendwann nach einem oder zwei Jahren, manchmal dauert es auch noch länger, werden sie wieder ins Leben nach draußen geworfen. Wenn die eigene Wohnung noch da ist, das wäre der größte Glücksfall. Zunächst ist man zusammen mit den Angehörigen einverstanden, mit dem ambulant betreuten Wohnen im Singledasein. Dann dauert das unerträglich lange und rauskommt – nichts. Die Einkäufe weiter selber heim schleppen, mal ein Blick in die Wohnung, sie sollte sauberer sein, kurz mal irgendwelche Ziele vom Formblatt definieren und gerne zum Kartenspielen einbestellen. Ein Witz! So kommt es wie es kommen muss: Rückfall in alte Muster, Klinik rein und wieder raus und die Perspektiven werden weniger. Die zahlenden Ämter sind, je nach Personal, immer amüsiert, wenn sie ihre Klienten einbestellen und verbal quälen können und zum x-ten Mal den gleichen Nachweis einfordern. Meist machtlos: die Angehörigen – sie sind da – in guten Phasen – und in schlechten Phasen – für alle immer wieder das gleiche Leiden.
Als Angehöriger schaust du irgendwann in den Spiegel und denkst: Wie lange soll das noch so weitergehen, wie lange hältst du das noch durch, ich bin alt geworden und wo blieb mein Leben? Dann fällt dir die Inklusion ein. Alles schön und gut, für z.B. Rollifahrer, da bemüht man sich allseits, weil man es versteht. Inklusion für psychisch Kranke? Noch lange nicht, vor allem bei schwierigen Patienten. Die breite Gesellschaft will sich mit diesem Thema nicht beschäftigen, obwohl die psychischen Erkrankungen immer mehr auch jüngere Patienten betreffen. Es wird weiter verschwiegen, verdrängt, verurteilt, verachtet in unserer Ellenbogengesellschaft, in der die Empathie immer mehr verloren geht. Mein Haus, mein Auto, mein guter Kontostand – das zählt immer noch. Angehöriger? Oh Gott, lieber Abstand halten. Der fürsorgliche Angehörige liebt seinen Betroffenen nach wie vor. Gern genutzte Instrumente begegnen ihm – Schweigepflicht und Datenschutz, wenn es unbequem wird. Lieber ein Gutachter, der den Menschen nicht kennt, als die Angehörige (an-)hören – immer noch Realität. Verbände, Vereine, Hotlines haben eines gemeinsam: Immer einen guten Rat – aber dann musst du selber durch – Ergo: hilf dir selbst sonst hilft dir niemand. Deshalb nützen auch noch so viele Geschichten nichts, weil sie keine Empfänger finden – außer uns Angehörige selbst.
von Elisabeth
Diese Geschichte wurde uns im Rahmen der bundesweiten Aktion „Angehörige machen Geschichte(n)“ zugesandt.
Kontakt: kontakt@angehoerige-im-mittelpunkt.de
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