Meine Mutter
Vor knapp 29 Jahren wurde ich als Tochter einer manisch-depressiven Frau geboren. Ich bin somit mit dem Krankheitsbild der bipolaren Störung aufgewachsen. Als Kind nimmt man die Unterschiede noch nicht so stark wahr. Für mich war es normal, dass mein Vater Essen kochte und unsere Wäsche gewaschen hat und meine Mutter wochenlang weinend im Bett oder die meiste Zeit auf dem Sofa lag. Und dann gibt es auch wieder andere Phasen, die vor denen ich besonders Angst hatte – die Phasen der Manie. Meine Mutter neigte schon immer dazu in diesen Phasen sehr viel Geld auszugeben und sich von Niemandem mehr etwas sagen zu lassen- dabei schrie sie ihr Gegenüber an und wirkte ungehalten. Einzig allein auf meine Großmutter hat sie etwas gehört. Aber als Kind wirkt auch diese Phase nicht so schlimm – Nein, eigentlich ist es auch ganz cool, wenn man abends mit seiner Mutter Auto fährt und dabei Musik hört oder junge Menschen zu Besuch kommen, weil sie deine Mutter „cool“ finden. Und dann sind da auch wieder die Phasen in denen alles ganz „normal“ wirkt, denn schließlich war meine Mutter die meiste Zeit sehr gut medikamentös eingestellt. Naja, zumindest so lange bis sie wieder auf die Idee kam, arbeiten zu gehen oder ihre Medikamente eigenständig absetze. Das wieder Arbeiten gehen war immer mein Hauptalarmsignal -wenn dieser Satz fiel, wusste ich, dass eine Manie nicht lange auf sich warten ließ und nach einer Manie kommt bekanntlich auch wieder eine Depression. Und wäre das nicht genug kam dann auch noch hinzu, dass ich sie, als ich 13 Jahre alt war, gefunden habe, als sie ziemlich viele Tabletten geschluckt hatte und ihr Leben beenden wollte. Der Schrei, der in meinen Ohren wie ein Tier klang, hat sich bis heute in mein Gedächtnis eingebrannt. Neben zahlreichen Psychiatrieaufenthalten oder auch Krankenhausbesuchen, denn auch diese häuften sich in der manischen Phase, gab es auch schöne Momente wie z.B. gemeinsame Urlaube im Herbst, um nochmal Sonnenlicht für die Wintermonate zu tanken. Und doch war unsere „Mutter- Tochter- Beziehung“ (wenn man es überhaupt so nennen mag) anders. Nicht sie ist die Mutter und übernimmt Verantwortung – Nein, diese Rolle übernehme schon immer ich, ob ich will oder nicht. Und auch im Hier und Jetzt hat sich an dieser Rolle leider nichts verändert. Seit 2 Jahren bin ich nun Vorsorgebevollmächtigte meiner Mutter, die nach einer stark ausgeprägten Manie (mit richterlich beschlossener Fixierung) vor 3 Jahren einen tiefen Fall in die Depression erlebt hat. Besonders ihr Waschzwang in Bezug auf Urin und Kot hatte sich in dieser Zeit verstärkt und da war ihr Wunsch wieder – der Wunsch nach dem Tod. Zahlreiche Versuche sie in einem betreuten Wohnen unterzubringen scheiterten daran, dass sie drohte, sich umzubringen oder die Kooperation verweigerte. Und als Angehörige? Da sind dir einfach die Hände gebunden – Forderungen seitens der Psychiatrie, ich sollte meinen Job aufgeben bzw. mich beurlauben lassen und mich 24/7 um meine Mutter kümmern standen im Raum. Denn sie galt mittlerweile als „austherapiert“ und hat zusätzlich noch eine histrionische und dependente Persönlichkeitsstörungen diagnostiziert bekommen. Nicht wirklich die besten Voraussetzungen für eine Wohnplatzsuche. Und nicht nur innerlich hatte sich meine Mutter komplett verändert – durch eine Magenband – Operation und die Nahrungsverweigerung hatte sie statt 140 Kilo nur noch 49 Kilo gewogen und so langsam stand auch im Raum, eine Magensonde anzuordnen. Soweit kam es zum Glück nicht. In dieser schwierigen Phase nach der Manie hat sich mein Vater von ihr getrennt – schließlich hatte sie ihn während der Manie mit zahlreichen Männern betrogen. Er lebt nun bei seiner Freundin. Und wie es mir damit geht? Ich bin richtig froh, ihn wieder glücklich zu sehen. Knapp 26 Jahre hat er sich um meine Mutter gekümmert und nun darf er einfach sein Leben wieder leben. Und trotzdem kümmert er sich im Hintergrund immer noch um die Belange meiner Mutter und unterstützt mich (er ist nämlich auch Vorsorgebevollmächtigt). Und auch ich komme immer wieder an den Punkt, an dem ich abwägen muss, wie viel Kontakt zu meiner Mutter mir guttut bzw. wie viel Konfrontation ich eingehe. Doch wie grenzt man sich als Tochter ab, wenn man dies nicht gelernt hat?
Und wie verhält man sich, wenn die eigene Mutter nach 3 Jahren 11 „Dauerdepression“ plötzlich aufgrund eines neuen Therapieansatzes (Lithium) vor einem steht und förmlich vor Lebensfreude sprüht? Auf einmal spüre ich wieder Hoffnung „Meine Mutter ist wieder da“ – doch gleichzeitig schwingt die Angst mit „Haben die Ärzt/innen und Psycholog/innen die Situation gut im Blick? Erkennen Sie eine drohende Manie?“ Klar, möchte ich ihr eine neue Chance geben, doch 3 Jahre kann man nicht einfach rückgängig machen. Ich habe viel durchgemacht, erlebt und bin einfach geprägt von den letzten Jahren. Keine wirklich einfache Situation und doch wird alles seinen Weg gehen, so wie es eben geschehen soll.
von Elphie
Diese Geschichte wurde uns im Rahmen der bundesweiten Aktion „Angehörige machen Geschichte(n)“ zugesandt.
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