Angehörige machen Geschichte(n) – Naturkatastrophe

Naturkatastrophe

Diese hochpsychotischen Episoden des kranken Menschen fühlen sich für die nächsten Angehörigen an, als würde ein Unwetter über sie niedergehen, ein Vulkan ausbrechen und alles nach und nach kochend heiß mit Lava übergießen.

Was macht man bei so einer Naturkatastrophe? Sich in Sicherheit bringen, wenn das möglich ist? Auf Hilfe warten? In diesem Fall muss man aber erst den psychisch Erkrankten absichern und dafür selbst immer wieder in das Katastrophengebiet reingehen. Eine Schutzausrüstung anziehen und den, der in Gefahr ist, „retten“.

Was ist, wenn sich derjenige wehrt, nicht gerettet werden will, wenn er sogar wütend wird und einen weit von sich wegstößt oder gar mit sich reißt? Kann man dann einfach weggehen und ihn sich selbst überlassen? Jeder Mensch hat letztlich doch einen Überlebenswillen.

Vielleicht ist das die Lösung: Hilfsangebot machen, wenn es nicht angenommen wird, gehen, sich selbst in Sicherheit bringen? Naturkatastrophen sind zerstörerisch, aber sie enden auch irgendwann und hinterlassen ein Schlachtfeld. Dann könnte man aufräumen. Könnte, wenn das gewünscht wird, wird es aber nach diesen heftigen Psychosekrisen bisher nie.

Jede unaufgeräumte Naturkatastrophe hinterlässt Spuren. Im Laufe der Zeit sind das viele und es wird immer schwieriger aufzuräumen. Die Helfer bleiben aus, ziehen sich zurück, sind ausgebrannt, sehen keine Chance mehr, dass man da noch was erreichen kann. Der kranke Mensch ist bald alleine und selbst schuld! Er will ja selbst nichts ändern! Will er nicht? Er kann nicht wollen, das ist die Krankheit, Experten wissen das „eigentlich“. Man kann es nachlesen, aber Experten sehen auch keinen Weg aus diesem Dilemma. Manche kranken Menschen müssen dann eben untergehen, sie wollen es ja so. Dabei ist ihnen die Fähigkeit zum Wollen im Laufe der Jahre mit aufeinanderfolgenden psychotischen Krisen abhandengekommen. Macht also keinen Sinn zu sagen, sie wollen das so! Sie leben in ihrer Welt, die außerhalb der normalen Welt stattfindet: Naturkatastrophe – Fehler im Ökosystem – Black out.

Wenn nichts funktioniert, was machen dann die Letzten die noch hinschauen, die aber schon längst nicht mehr können? Am besten auswandern. Möglichst ans andere Ende der Welt, nur dann ist es wohl auszuhalten. Aus der Ferne kann der Angehörige Kontakt halten, ohne unmittelbar in die Unwetter oder Naturkatastrophen hineinzugeraten.

Uneindeutiger Verlust

Was ist das bohrende Gefühl, was mich immer begleitet, wenn ich ihn sehe und erlebe? Es tut weh, das eigenes „Kind“ an die Psychose zu verlieren. Zu erleben, wie sie den Menschen, den man liebt und mal richtig gut kannte, zunehmend auffrisst. Es tut weh, immer weniger Zugang zu dem Menschen zu bekommen. Es tut weh, zu sehen, wie er schreit, wen auch immer er anschreit. Es tut weh zu sehen, wie er im Winter seine Wohnung auskühlen muss, wie er sich ununterbrochen duschen und baden muss, wie er seine Kleider 100erte Mal am Tag wechseln muss, wie er seine Schlüssel 100erte Mal am Tag suchen muss, wie er alles Mögliche, was er braucht, suchen muss, wie er mit Essen umgeht, es anisst, überall liegen lässt, herumschreit. Es tut weh zu sehen, wie er Reste seines alten Lebens zusammensucht, aber wenig Sinnvolles damit zustande bekommen kann. Spielsteine liegen überall, Zettel sind mit seltsamen Zeichen und Wörtern beschrieben – vielleicht alles Zeichen? Es tut weh zu erleben, wie er Glas zerschmettern muss, Papier zerfetzen muss, Bücher zerlegen muss, Gebrauchsgegenstände wegwerfen muss. Es ist schlimm zu hören, wie er unruhig durch die Wohnung trampelt, wie ein Puma im Käfig, wie er stundenlang draußen herumlaufen muss, oft unzureichend und schlecht gekleidet mit kaputten Schuhen. Wie kann ein Mensch so überhaupt körperlich gesund bleiben? Es gibt manchmal hellere Momente – Hoffnung flammt auf – dann wird es wieder dunkler – Hoffnung vergeht – Hoffnung wird mit jeder Episode weniger – ja sie stirbt im Laufe der Jahre.

Uneindeutiger Verlust – Was machen Eltern mit Trauer um jemanden, der da ist und doch nicht mehr da ist? Wie kann das denn überhaupt einsortiert werden in ein aufgeräumtes Weltbild? Aufgeräumt ist es schon lange nicht mehr, aber irgendwie möchte ich es wieder aufräumen. Ordnung schaffen. Es ist nicht auszuhalten. Ich möchte es nicht mehr erleben.

von Eldra

Diese Geschichte wurde uns im Rahmen der bundesweiten Aktion „Angehörige machen Geschichte(n)“ zugesandt.

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