Schizophrenie – keine Krankheitseinsicht – Zwangsmedikation zu früh beendet
Unser Sohn Sebastian, 43 Jahre alt, ist an einer schizophrenen Psychose erkrankt. Er leidet unter Verfolgungswahn und ist gefangen in seinen Ängsten, in seiner eigenen Welt. Nach Abschluss des Studiums 2017 hatte er die therapeutische und medikamentöse Behandlung abgebrochen.
Seitdem ging es ihm langsam aber kontinuierlich schlechter, bis er schließlich in der Obdachlosigkeit landete. Schrecklich, nicht zu wissen, wo er sich aufhielt, wie er ruhelos umherirrte. In der Obdachlosenunterkunft hatte er Hausverbot erteilt bekommen, da er mehrmals Feueralarm ausgelöst hatte, er hätte Gift in der Luft gespürt und wollte alle vor Vergiftung retten. Wir Eltern hatten uns hilfesuchend an Mitarbeiter der Obdachlosenanlaufstelle, Betreuungsbehörde, Diakonisches Werk gewandt. Der gesetzliche Betreuer hatte sich um formale Angelegenheiten gekümmert, reagierte aber nicht auf meine Briefe oder E-Mails und hat bis heute keinen Kontakt zu Sebastian.
Ende 2023 wurde Sebastian durch Zwangseinweisung in eine Psychiatrische Klinik gebracht. Er selbst fand sich dort fehl am Platz, hatte keine Krankheitseinsicht und hätte lieber „unter einem Baum am Friedhof“ übernachtet. Energisch sprach er davon, dass für ihn die Menschenrechte der freien Selbstbestimmung gelten, er möchte mit dem Richter sprechen und diese „Verwechslung“ klarstellen, sein Anwalt würde ihm helfen.
Die ersten Monate hat Sebastian nicht an den Klinik-Mahlzeiten teilgenommen, hat nur abgepacktes Essen zu sich genommen, da er ständig in großer Angst lebt, dass ihn jemanden Gift verabreichen könnte. Er fühlt sich von einem Vergewaltiger verfolgt, der ihm nach dem Leben trachtet.
Während der Zwangsmedikation hat sich sein Verhalten deutlich geändert: Sebastian konnte am gemeinsamen Essen teilnehmen, hat sich erstmals wieder um Körperhygiene gekümmert und war wieder in der Lage, an Gesprächen teilzunehmen. Er fragte nach Wohnmöglichkeiten sowie einem Schreibtisch mit PC um zu arbeiten, und interessierte sich für die Menschen seines Umfeldes. Leider gingen alle persönlichen Kontakte außerhalb der Familie (Eltern und Geschwister) verloren.
Sebastian ging es zusehends besser, er übernahm sogar kleine Aufgaben in der Station (Tischdienst). Er lehnte aber nach wie vor die Behandlung durch Medikamente ab. Er wiederholte regelmäßig, dass er in der Klinik „falsch“ sei, er suche „Erleuchtung“, was er als Erlösung von Leid umschrieb.
Für uns Eltern war es sehr belastend, dass in der Klinik anfangs keiner mit uns gesprochen hat. Erst unter dem Zustand der Medikamenten-Einnahme (per Injektion) konnte er sein Einverständnis mitteilen, dass wir bei den Arztgesprächen dabei sein durften. Leider wurde die Zangsmedikation nicht ausreichend verlängert, dass es für Sebastian zur Krankheits-Einsicht hätte kommen können. Die Ärzte und der Betreuer hofften auf freiwillige Medikamenteneinnahme (Tabletten) und Krankheitseinsicht des Patienten, was aber nicht funktionierte. Sebastian hat freiwillig keine Medikamente eingenommen.
Unter der Medikation hat er Vertrauen zu der behandelten Psychologin und Sozialarbeiterin bekommen. Wir sind sehr froh, dass für Sebastian eine Wohnmöglichkeit in einer Wohngruppe vom ASB gefunden wurde, unterstützt vom Landeswohlfahrtverband Hessen. Die Mitarbeiter in diesem Haus sind sehr hilfsbereit und zuvorkommend. Aber auch hier kommen wir an Grenzen, da Sebastian sich nicht in den Tagesablauf integrieren lässt. Wir müssen mit ansehen, wie alle positiven Veränderungen nach Beendung der Zwangsmedikation rückläufig sind. Aus großer Angst, vergiftet zu werden, nimmt Sebastian keine Medikamente ein, nimmt nicht an gemeinsamen Essen teil. Er müsste zum Zahnarzt, braucht eine Brille oder Sehhilfe und auch neue Schuhe. Aber alle Versuche, alltägliche Vorhaben umzusetzen, scheitern. Es ist sehr belastend mitzuerleben, wie Sebastian weiterhin in seiner eigenen Angst gefangen bleibt.
Sehr traurig, was aus diesem interessierten aktiven jungen Mann geworden ist. Er hatte als Jugendlicher eine Umweltgruppe in der Schule gegründet, war im Vorstand der BUND Hessen, gab Nachhilfeunterricht im Studienkreis, arbeitete nebenbei als Rettungsschwimmer, u.v.m. Nichts davon ist geblieben, ich sehe ein Häufchen Elend sprachlos vor mir kauernd.
Durch eine Psychotherapeutin wurden wir auf die Angehörigengruppe der Uniklinik Frankfurt, geleitet von Dr. Bittner aufmerksam, an der wir teilgenommen haben. Die Informationsgruppe hat viel Wissen und Verständnis für die Erkrankung vermittelt, der Austausch war sehr hilfreich. Erstmals wurde u.a. betont, wie wichtig die Zusammenarbeit von Betroffenen, Behandlern und den Angehörigen ist. Auch das Fehlen der Krankheitseinsicht der Betroffenen war ein Thema, das viele Angehörige beschäftigt. Mit Medikamenten wäre ein gutes Leben mit dieser Erkrankung möglich.
Es scheint aber so, als habe Sebastian leider keine Chance auf ein „zurück ins Leben“. Hat er wirklich keine Perspektiven mehr? Wie kann er die Wohnmöglichkeit behalten und Medikamente bekommen, wie ist das erreichbar?
von Ute D.
Diese Geschichte wurde uns im Rahmen der bundesweiten Aktion „Angehörige machen Geschichte(n)“ zugesandt.
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