Warten…..
Endlich habe ich einen Anfang gefunden. Ein Artikel von Marion Karausche (Autorin vom Roman „Der leere Platz“) in der letzten psychosozialen Umschau, über die Schule des Wartens, hat mich inspiriert.
Das ist der Inhalt unserer fast 30-jährigen Psychiatrieerfahrung mit unserer Tochter. 1995 erkrankte Anna (Name geändert) an einer damals diagnostizierten, schizophrenen Psychose. Für uns überraschend und schockierend. Klar hatte sie schulische Probleme, auch Schlafen und Essen war nicht „normal“. Aber Anna war gerade 18 Jahre geworden, mehrmals unglücklich verliebt, eine attraktive, junge Frau. Sie war dem Beziehungsstress ausgeliefert.
Für uns waren das Verhaltenserscheinungen, dem Alter und den Problemen geschuldet, außerdem ihrem persönlichen Ehrgeiz.
Bis zu dem Tag, an dem sie der Familie zu verstehen gibt, sie kann nicht mehr. Ihre Aussage klingt uns noch in den Ohren „Macht mich weg!“ war ihre Forderung an uns. Ein Hilfeschrei, weil sie ihre Lage nicht mehr ausgehalten hat. Aber sie hatte Vertrauen zu uns, denn sie bat uns, ihre Eltern, um Hilfe. Das war für uns ein großes Glück, dass wissen wir heute gut zu beurteilen.
Für Anna begann ein Martyrium, Psychiater diagnostizierten, setzten Psychopharmaka ein, mit vielen Nebenwirkungen, ernährten sie künstlich. Wir blieben am Bett, wir verließen Anna nicht, denn sie selbst redete kein Wort mehr. Unsere Teilnahme an den Visiten war von Kränkungen begleitet, wir standen der therapeutischen Arbeit im Wege, wir waren die Ursache des Problems. Aber wir warteten, informierten uns und warteten weiter, auf was? Auf Verständnis, auf Ärzte, die uns mitnehmen wollten auf dem Wege einer Behandlung dieser psychischen Erkrankung unserer Tochter.
Wir warteten auf Erklärungen, auf Hilfen und sie kamen. Immer wieder waren Ärzte oder Pfleger da, die uns unterstützende Hilfe anboten, die einen wertschätzenden Umgang mit Anna und uns suchten. Diese Menschen lehrten uns Geduld und einen langen Atem und das Warten….
Mitgefühl und Empathie brachten uns das Glück, dass Menschen sich dafür einsetzten, dass Anna dem Drehtüreffekt entkommen konnte und – nach mehreren Überdosierungen – in eine Einrichtung mit anthroposophischem Ansatz kam. Die Trennung war für Anna und uns sehr schmerzhaft, es fühlte sich so endgültig an. Wir alle, richtige Familienmenschen, fürchteten nun noch mehr Leid.
Aber heute nach fast 17 Jahren wissen wir, es war die klügste und beste Entscheidung, die unsere Tochter mit uns getroffen hat. Klar, war auch dort die Angst vor der Einmischung der Angehörigen, erstmal zu überwinden. Aber es wurde sich von Anfang an bemüht uns zu verstehen, uns kennenzulernen und unsere Einwände zu akzeptieren. Alle Beteiligten wurden gestärkt, das Selbstwertgefühl von uns wuchs wieder, Schuldgefühle verschwanden, die Einrichtung nahm Einfluss auch auf unser Leben. Wir genießen das Lebensgefühl, dass Anna dort entwickelt hat, Selbstwertgefühl, Selbsteinschätzung sind gestärkt.
Wir leben mit Kompromissen, warten nicht auf Fortschritte, sie kommen einfach. Gemeinschaft, Gespräche, Musik, Tiere, Zusammenleben machen wieder gesund!
Wir haben das Warten aufgegeben und genießen uns mit allen Schwächen und Stärken!
von Lydia-Anna
von Lara
Diese Geschichte wurde uns im Rahmen der bundesweiten Aktion „Angehörige machen Geschichte(n)“ zugesandt.
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