Wir haben schon einiges geschafft, aber es gibt noch viel zu tun
Hier unsere Geschichte meines Sohnes, seinem Bruder und mir, der Mutter.
Es fing bei ihm mit einer zweijährigen Sozialphobie an. An Hilfe seitens der Behörden, Ärzten und Therapeuten war noch nicht zu denken. Ich habe überall gesucht, um es zu verstehen und einen Werkzeugkoffer zu erhalten, aber nichts gefunden.
Dann folgten die Jahre der Drehtürpsychologie: sein Zustand verschlimmerte sich immer mehr und auch der Gesundheitszustand von mir und seinem Bruder.
Weil ein Zusammenleben aufgrund der Nähe und auch meiner Unwissenheit, mit der Krankheit umzugehen nicht mehr möglich war, wohnte mein Sohn in einer WG bei einem sozialen Träger. Bis T. eines Tages seinen Freund und Mitbewohner tot in seinem Zimmer fand – da brach die Psychose aus. Der Träger bot weder Krisenintervention an, noch wurde ihm ein neues Zimmer angeboten. Mein Sohn wurde obdachlos und lief mit großer Angst auf der Straße umher, er war stark Selbstmord gefährdet. Ich habe ihn zwei Mal per Fahndung suchen lassen.
In die Klinik ging er nicht mehr, weil er Angst vor Psychologen hatte und sich verfolgt und überwacht fühlte. Der eingesetzte Betreuer erwirkt eine Zuführung. Leider entlässt der Chefarzt T. nach 4 Tagen.
Er ist im November bei 5 Grad und Nieselregen nur mit kurzer Hose und T-Shirt bekleidet. Wenn die Bahnpolizei ihn nicht ins Gewahrsam für die Nacht genommen hätte, wäre er wohl erfroren.
Der Kontakt zur Familie brach ab, weil ich die Person war, die Ihn einsperren wollte. Er wohnte dann im Winternotprogramm von f&W – das hat mir nach 2 Jahren der Gutachter bei einem Telefonat gesagt. Er ist chronisch psychotisch und in einem schlechten Zustand. Der gesetzliche Betreuer ist abgetaucht, nicht mal das Gericht wusste, wo er sich aufhielt. Das hatte zur Folge, dass keine Papiere erstellt worden waren. Mein Sohn befand sich im luftleerer Raum.
Dann wurde ein neuer gesetzliche Betreuer (Beruf Anwalt für Erbrecht) ernannt. T. wurde nach einem Klinikaufenthalt auf Beschluss für 1 Jahr in Heilgenhafen untergebracht. Im Januar 2023 kam er zu Besuch, es ging ihm gut, er war gut eingestellt. Er wollte seine Sachen bei mir unterstellen. Weil der Betreuer sich nicht um eine Folgeunterkunft nach dem einjährigen Aufenthalt in Heilgenhafen gekümmert hat, wie versprochen, hat er T. wieder bei f&W in das Winternotprogramm abgesetzt und sich nicht weiter gekümmert.
Wir sind dann monatelang durch die Stadt gefahren von einer Informationsveranstaltung zur nächsten für eine adäquate Unterkunft meines schwerkranker Sohnes. Es ist sehr hochschwellig und uns fehlten die dafür benötigten Papiere, weil der Betreuer sie nicht beantragt hatte.
Im August finden wir einen Wohnraum, nicht ganz angemessen an die schwere der Krankheit aber erstmal von der Straße und niedrigschwellig. Es ist ein Langzeit-Wohnungslosenprojekt in einem Containerdorf mit Sozialarbeitsanschluss.
Die Zeit war sehr stressig für uns, vom Betreuer gab es keine Unterstützung, obwohl er das Mandat dafür hatte, er hat in dieser Zeit T. Nicht besucht.
Es war alles zu schwer für T. und er entschied sich die Tabletten nicht weiter zu nehmen. Die Psychose brach wieder aus, er verwahrloste zusehends, die Stimmen wurden lauter. Ich habe ihn noch lange begleitet, dann lief er wieder weg, der Kontakt brach ab. Aber zum Glück suchte der Sozialarbeiter aus dem Projekt T. und fand ihn im sehr schlechten Zustand im Pik As. Dort war er schon ein Notfall, weil er fast am Verhungern war. Er kontaktierte den gesetzlich eingesetzten Betreuer, um die Bitte einen Antrag auf Zuführung in die Klinik, weil das Leben meines Sohnes in Gefahr war. Der Betreuer lehnt eine Mithilfe ab. Erst nach einer Vorladung beim Betreuungsgericht, ich war auch anwesend, als der Richter den Betreuer aufforderte zu arbeiten, werden die erforderlichen Papiere erstellt.
Mein Sohn kommt in die Uniklinik, dort erhält er die für ihn richtigen Tabletten. Die Stimmen schweigen und sein Zustand wird besser. Der Sozialdienst vor Ort arbeitet sehr gut und T. wohnt jetzt sicher in einer geschützten Einrichtung und wird später im gleiche Haus in eine besondere Wohnform wechseln. Es geht ihm jede Woche besser und er fühlt sich dort sehr wohl.
Fazit: Wenn es nicht so gute und engagierte Sozialarbeiter gegeben hätte und ich mich nicht fast zwei Jahre darum gekümmert hätte für meinen Sohn die richtige Wohnform zu finden, wer weiß, ob er noch am Leben wäre. Sollte die Genesung so weiter gehen, ist es nicht ausgeschlossen, dass er ein selbst bestimmtes Leben führen kann, wenn vielleicht auch mit Unterstützung.
Mein Wunsch für die Zukunft ist, dass Angehörige, Betreute/Betroffene, Betreuer und Mediziner auf Augenhöhe zusammenarbeiten. Hilfssysteme gibt es. Sie müssen noch wachsen und sich entwickeln auf den immer höher werden Bedarf. Es darf nicht sein, dass so wie im Fall meines Sohnes und davon gibt es einige, Menschen bei uns am Hauptbahnhof stehen und keiner kümmert sich. Auch muss das Betreuersystem, wie es zurzeit ist, überdacht werden. Anwälte mit 100 und mehr Betreuten werden einem schwer psychisch Kranken nicht gerecht, so wie mir es auch viele Sozialarbeiter berichteten und wir selbst erfahren haben. Es hat viel Leid verursacht, weil den Betroffenen häufig die ihm zustehende Hilfe nicht gegeben wird, was auch wieder uns Angehörige trifft.
Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass in Zukunft psychisch Kranke und ihre Angehörigen schnelle Hilfe bekommen und niemand mehr 14 Jahre Leid erleben muss.
von PFY
Diese Geschichte wurde uns im Rahmen der bundesweiten Aktion „Angehörige machen Geschichte(n)“ zugesandt.
Kontakt: kontakt@angehoerige-im-mittelpunkt.de
>> zurück zur Übersicht mit allen Geschichten, Gedichten und Bildern.
>> zurück zur Aktionswebsite www.angehoerige-im-mittelpunkt.de