Zwischen Liebe und Hass – Gewalt durch den depressiven
Partner
Die Geschichte, die ich teilen möchte, ist keine schöne. In der Tat scheint sie mir manchmal zu unerfreulich, um sie überhaupt zu teilen. Aber es verbirgt sich auch Stärke und Hoffnung darin und wenn ich in einer ähnlichen Lage wäre, würde ich sie gerne lesen. Unendlich viel könnte ich schreiben. Ich versuche, mich auf das Wesentliche zu beschränken.
Die Geschichte beginnt, wie eine der Geschichten, die hier bereits geteilt worden ist:
„Es fing alles so wunderbar an. Ich war sehr verliebt und er war ein toller Mann.“ Mein Mann ist das noch immer. Stark, klar, intelligent, mutig… und schwer depressiv. Ich war von der Intensität, mit der die Erkrankung kam, überrumpelt. Ich versuchte zu unterstützen und zu helfen wo ich konnte und eignete mir mit der Zeit immer mehr Wissen an. Mein Mann war in schlechten Phasen, die immer häufiger wurden, wie verändert. Immer mehr machte er mich für seine schlechten Stimmungen verantwortlich. Aus Nichtigkeiten wurden riesige Streits die anfangs zu schlimmen Beleidigungen, Herabwürdigungen meinerseits und später zu regelmäßiger Gewalt führten. Ja, mein Mann hat mich geschlagen. Mehrfach. Er drohte mir mit dem Tod. Er würgte mich, schlug mich, trat mich und verletzte mich, sodass ich wochenlang Schmerzen hatte. Ich hatte Angst vor jedem Abend, jedem Streit. Jedem „falschen“ Blick. Mittlerweile weiß ich, dass meine Versuche rational zu argumentieren in solchen Phasen völlig unsinnig waren und alles nur noch schlimmer gemacht haben.
Ich bin geblieben. In der anderen Geschichte, die hier veröffentlicht wurde, ging die Partnerin, bevor es zu spät war – und traf damit die absolut richtige Entscheidung. Dennoch bin ich auch mit meinem Weg im Reinen. Kann ich jemandem empfehlen, es so zu machen, wie ich? Nein. Aber dennoch konnte ich und wollte nicht anders. Weil ich wusste, dass dies nicht mein Mann war. Mein Mann war derjenige, der oft am nächsten Tag unter der Last dessen, was er getan hatte, schier zerbrach. Ohne es anzusprechen, auszusprechen. Stattdessen kam mir immer noch die Aufgabe zu, gute Miene zum bösen Spiel zu machen – denn alles andere hätte ihn noch mehr zerstört.
Erst zu spät erfuhr ich durch eigene Recherche, dass Aggressivität und Feindseligkeit ein typisches Symptom von Depression bei Männern sein kann. Anders als Frauen, die dazu neigen, sich selbst für alles verantwortlich zu fühlen, externalisieren Männer offenbar häufiger und sehen den Grund allen Übels in den anderen.
Mit der (endlich) richtigen Medikation sind die Gewaltausbrüche vorbei. Sie beruhten auf der völligen körperlichen Unfähigkeit, Stress runterzuregulieren. Die Feindseligkeit und Gereiztheit kommt noch immer wieder. Wie unterstütze ich jemanden, wenn es ihm schlecht geht, wenn derjenige mich als Feindin wahrnimmt? Darauf habe ich noch immer keine gute Antwort. Aber gute Erfahrungen habe ich damit gemacht, erst einmal Empathie zu signalisieren und ihm die Gelegenheit zu geben, sich zu äußern:
„Ich habe dein Eindruck, dass du gerade sehr leicht gereizt bist / angespannt bist / wütend bist“… „Kannst du mir sagen, wie du dich fühlst?/ was dir jetzt am liebsten wäre?“
Und in Zukunft werde ich wieder mehr schöne Dinge für mich machen. Die Krankheit meines Mannes wird immer ein Teil unseres Lebens bleiben. Aber ich habe die Hoffnung, dass wir einen modus vivendi finden, in dem ich unterstützen kann und mein eigenes Wohlbefinden von den Krankheitsphasen unabhängig wird.
Sehr würde ich mir wünschen, dass über den Aspekt der Gewalttätigkeit von depressiven Männern mehr gesprochen und geschrieben wird. Im Namen der Angehörigen, die sich zum eigenen Schutz und zum Schutz des Erkrankten nicht äußern können.
Ich habe mich oft so allein gefühlt. Nicht gewusst, was ich tun soll. Unfähig gefühlt, etwas zu tun. Geholfen hätte es mir in der schlimmsten Zeit, mit jemandem sprechen zu können, der weder mich noch meinen Mann kennt und dennoch versteht, was ich tue. Der nicht urteilt und keine Forderungen an mich stellt, wie ich mich verhalten soll. Aber der weiß, wie es mir geht und dem ich ehrlich sagen kann, was passiert ist. Ich war mir immer sicher, ich bin nicht allein.
Manchmal schäme ich mich dafür und fühle mich schwach, dass ich es nicht geschafft habe, mich besser zu beschützen. Manchmal bin ich wütend auf Menschen, die es versäumt haben, mich zu unterstützen (aber erzählen konnte ich es ja niemandem). Manchmal, oft, habe ich mittlerweile Vertrauen in unseren Weg und denke mir: Mir wurde so viel Sonnenschein im Herzen und Stärke gegeben, dass ich das geschafft habe.
von Anneke S.
Diese Geschichte wurde uns im Rahmen der bundesweiten Aktion „Angehörige machen Geschichte(n)“ zugesandt.
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